Montag, 28. November 2011

Günther Jauch und sein Bildungsverlust

Hi Leute,
ich bin heute Nachmittag auf etwas ganz Schreckliches gestoßen. Es war ein so genannter 'Polit-Talk' mit Günther Jauch, also eine als seriös verkaufte Talkshow, mit dem Titel "Generation Doof - warum gibt es so viele Bildungsverlierer?" Was daran so schrecklich war? Ich will es euch gerne erzählen:

Zunächst einmal der Titel. Generation Doof? Solch einen Titel hätte ich von der BILD erwartet, aber doch nicht von DER Polit-Show des öffentlich rechtlichen Fernsehens? Klar geht es darum, dass wir seit PISA feststellen mussten, dass das deutsche Bildungssystem im internationalen Vergleich in manchen, ausgewählten, Bereichen defizite aufzeigt. Doch wollen die Köpfe, die diesen Begriff eingeführt haben und in diesem Fall auch benutzen, etwa sagen, dass die vorherigen Generationen schlauer waren? Das wäre nämlich die Konsequenz, wenn man eine Generation doof nennt. Doof ist relativ. Aber das ist (leider) nur das kleinste Problem bei dieser Sendung gewesen.

Es wurde also versucht mit einem Fußballtrainer (Felix Magath), einem 'Vom-Tellerwäscher-Zum-Millionär' SPD Mann, einer ehemaligen Schulministerin und zwei Pädagogen (eine "Kuschelpädagogin"  und ein knallharter Disziplinator) über diese Bildungsmisere zu reden. Doch bevor die aufgezählten Gäste zu Wort kamen, stellte Jauch zunächst eine Wunderkind und eine Omi vor. Das Kind ist hochbegabt, kann Goethes Faust auswendig und wird mit 16 Abi machen. Die Dame hat dagegen mit Ü70 noch ihr Abi nachgeholt und studiert nun. Beide werden als "Bildungsgewinner" verkauft. Es bleibt mir jedoch völlig unklar, warum diese beiden vorgestellt wurden. Was hilft es uns über Generation Doof diskutieren zu können, wenn man uns ein Wunderkind und eine Dame zur Schau stellt? Oh, schön für sie - mehr bleibt da nicht hängen. Im weiteren Verlauf stellen sich die beiden auch als überflüssig heraus, weil sie in keiner relevanten Weise erwähnt werden. Warum auch? Die Dame durfte etwa drüber spekulieren, wieso ihre Kollegen auf dem Abendgymnasium oft kein richtiges Deutsch konnten. "Um cool zu sein", war sinngemäß ihre Erklärung. Dass andere Dimensionen wie kulturelle Hintergründe und soziale Zwänge innerhalb dieser Jugendkulturen eine Rolle spielen könnten, darauf kam niemand. Weder Jauch, noch die Abi-Omi. So begann die Sendung mit einem halb-wissenschaftlichen Auftakt und wuchs seitdem auch nicht über sich hinaus.

Richtig schlimm wurde es jedoch, als die Runde anfing zu reden.
Man meint vielleicht zu glauben, dass es hilfreich wäre eine Diskussionsbasis zu schaffen. Ein gemeinesames Fundament des Themas bilden, worauf man den Diskurs aufbaut um Begriffsirritationen vorzubeugen. Oder um Ahnungslose in das Thema einzuführen, damit sie auch wissen, worüber da geredet wird. Fehlanzeige. Generation Doof wird als ein Haufen von Jugendlichen vorgestellt, die es bei Bewerbungen nicht auf die Reihe kriegen, die Fläche eines Tisches auszurechnen. Das wars, keine weiteren Informationen zum Gegenstand der Diskussion. Der Einwand vom SPD Politiker, dass es pauschalisierend war, wurde weder von ihm selbst noch von jemand anderen ernst genommen. Keiner Bestand auf Differenzierung. Niemand kam auf die Idee, dass es nur 10 Bewerber waren. Eine wissenschaftlich repräsentative Stichprobe ist etwas anderes. Aber wie bereits erwähnt - auf wissenschaftliche Qualität wurde nie wert gelegt. Man merkte es beispielsweise daran, dass die vermeintlichen "Experten", also die Grundschullehrererin und der Realschulleiter, nie wirklich zu Wort kamen. Die eine wurde als Kuschelpädagogin abgestempelt, weil sie das Notensystem anzweifelt. Eine Position, die sie nicht allein in der Pädagogik vertritt. Der andere ein Pädagoge, der durch Strafen seine Berliner Realschüler mit Erfolg diszipliniert hat. Dass diese beiden grundverschiedenen Ansichten einen sowas von großes Diskussionspotenzial ergeben und deren Argumente auch wirklich dazu beitragen können die Frage zu beantworten, woran es liegt, dass unsere Jugend angeblich keine Tischflächen ausrechnen können, darauf kam anscheinend weder die Redaktion noch Jauch.
 
Stattdessen wurde immer nur das Thema gewechselt, ehe eine Diskussion aufkam. Man sprach über persönliche Bildungsgänge der Gäste. Was juckt mich das als Zuschauer, der sich über das Bildungsproblem informieren will? Doch wieso hat keiner der Gäste bemerkt, wie lahm und wie zielverfehlt diese Runde war? Warum hat keiner den Mut gehabt zu sagen: "Herr Jauch, mit Verlaub, wir führen gerade ein sinnloses Gespräch. Weder haben wir zur Genüge geklärt, was Bildungsverlierer eigentlich sind, noch beantworten wir die Frage warum es diese gibt." Es wurden beispielsweise Wortfetzen wie "Familiäre Unterstützung" oder "Geld" reingeworfen. Konkret wurde es jedoch nie. Keine Verbesserungsvorschläge. Keine umfassenden Erklärungsversuche oder Präzisierungen, wie z.B. wohin das Geld gehen soll oder wie man die elterliche Unterstützung verbessern könne. Es blieb schwammig und pauschal. Es entstand der leider der Eindruck, dass niemand wirkliche Ahnung vom Themenkomplex hatte. "Alltagstheorie", hat es eine Dozentin genannt. Viel schlimmer war jedoch das Gefühl, dass niemand den Mut hatte das Thema Bildung in die Hand zu nehmen. Bildung ist leider etwas, womit jeder was mit zu tun haben glaubt und mitreden möchte. Wenn es jedoch ums Eingemachte gehen soll, reicht jeder die heiße Kartoffel weiter, in der Angst sich die Fingerchen daran zu verbrennen.

Wer sich meine 60 minütige pädagogische Qual geben möchte:
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=8888880

Oh Mann...
horst

3 Kommentare:

  1. Ich muss leider sagen, dass du für die vermeintliche Grundaussage zu viele Worte verwendet hast.

    Im Sinne der Kommunikation ist es nicht unüblich und eher notwendig, dass der möglichst kleinste, gemeinsame Nenner dem Gespräch zugrunde gelegt wird. Das Ziel ist es doch, dass möglichst einfache, kurze und Fremdwörter freie Texte ihre Verwendung finden.

    Es fällt mir schwer hierbei auf eine Erkenntnis zu kommen - abgesehen davon, dass es durch die ard präsentiert wird -, welche nicht bekannt ist.

    Grüße,
    Chris

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  2. Da streiten wir uns wohl um den Sinn und Zweck einer Polit-Show, Chris. Ich erwarte jedenfalls von so einem TV Format keine "didaktische Unterkomplexität", wobei bewusst wissenschaftliche Korrektheit gegen besseres Verständnis eingetauscht wird. Was zurückbleibt ist nämlich nur Halbwissen. Möglichst freie und einfache Verwendung von Wissen erhälst du an Stammtischdiskussionen. Ein diffuses rumschwafeln bringt niemandem was.

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  3. Mich überrascht das nicht wirklich. Die Qualität von Fernsehsendungen nimmt exponentiell ab. Viele vermeintlich sogenannte "Bildungssendungen" oder "Diskussionsrunden" verfehlen ihren Zweck. Entweder dienen solche Sendungen der Selbstprofilation der geladenen Gäste oder sie neigen dazu nur unreflektiertes Halbwissen rüberzubringen. Das sieht man oftmals an der Auswahl der Themen bzw. Gäste. Nie hat man eine gewisse Ausgeglichenheit, was das Meinungsspektrum angeht, sondern vielmehr eine vorgeschriebene Tendenz. Bei der Integrationsdebatte wurden z.B zu allen möglichen Talkshows überwiegend Musterbeispiele der Integration eingeladen, und kaum welche, die mal die Schattenseiten dieser Debatte aufzeigen. Oder wenn es um Diskussionen über Alkoholkonsum in unserer Gesellschaft geht. Da lädt man Geschäftsführer der Alkoholkonzerne, einen Fernsehkoch, der gerne Wein trinkt, einen bayerischen Politiker und nur 1-2 Kontra-Gäste ein. Wo sind wir denn hier?

    Richtige Debatten, bei denen durch Austausch auch mal eine Art Fazit oder Konsens rauskommt, findet man kaum noch. Stattdessen orientieren sich die Produzenten solcher Sendungen immer mehr an einem gewissen quotensicheren Grundkonzept, was zwar von außen den Schein einer politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung hat, aber in der Regel nichts zum allgemeinen Bildungszuwachs beiträgt.

    Und sowas ist leider ein großer Schritt in die falsche Richtung. Eine Gesellschaft, die sich nicht anständig mit Problematiken auseinandersetzen kann, und das ist in der heutigen Zeit überwiegend durch das Medium TV der fall, kann sich auch nicht weiterentwickeln.

    Hier in Deutschland werden schon über Jahrzehnte hinweg immer wieder Diskussionen geführt, die aber immer wieder an bestimmten Punkten ins Stocken geraten, weil keiner einen Schritt weiter geht. Jeder hat etwas zu meckern, oder zu sagen, aber keiner nennt konkrete Vorstellungen bzw. Vorschläge. Und die Leute, die Konzepte vorzuweisen haben, werden in die Ecke gedrängt, oder erst garnicht in diese Sendungen eingeladen.

    Ich persönlich finde es auch schade, dass sich scheinbar viele Wissenschaftler erst garnicht zu bestimmten Themen äußern. Gerade diese sind doch am besten geeignet Themen mal aus wissenschaftlicher und weitaus refelktierteren Ansicht anzugehen. Wohingegen solche Pseudo-Experten, wie man sie heutzutage an jeder Ecke vorfindet zu einer Besserung beisteuern.

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